Stammhaar
2011

Technik
Metall, Glas, Haar

Masse

Stammhaar setzt sich aus einem hausförmigen, gläsernen Schrein auf hohem, metallenem Stand und einem, im Inneren des Glashauses liegenden, quaderförmigen Filzobjekt aus Menschenhaar zusammen. Das fragil, doch schützenswert aufgebahrte Filzstück besteht aus Haaren aller ihrer lebenden Verwandten.

In allen Kulturen dieser Welt besitzen Haare eine wichtige Bedeutung. Ihre Schmuck- und Zeichenfunktion dient der Darstellung von Geschlecht, Status und Gruppenzugehörigkeit. Als äusseres Körpermerkmal sind sie eng mit religiösen und soziokulturellen Mode-, Werte- und Normsystemen verbunden. Haare repräsentieren Lebenskraft und Fruchtbarkeit. Sie zeugen von Schönheitsidealen, demonstrativem Protest und dienen der Identitätsverwandlung. Ihr Anblick löst Gefühle von Ekel und Scham, Faszination, Begierde und Wolllust aus. Aus biologischer Sicht sind Haare für das Überleben des Menschen nicht notwendig, in kulturgeschichtlicher, sozialer und psychologischer Hinsicht spielen sie jedoch eine zentrale Rolle. (1)

In ihrer Arbeit vermengt B. Geyer ein ehemals prägendes Körpermerkmal der verschiedenen Personen ihrer Grossfamilie zu einem anonymen, identitätslosen Objekt. Hiermit verweist die Künstlerin einerseits auf das gemeinsame Erbgut, andererseits spricht sie die Prägung einer Familienzugehörigkeit (Familienerbteile) an, deren Auslöschung einer Gehirnwäsche gleich käme. Aus diesem Blickwinkel erscheint der Herstellungsprozess des Filzobjektes aufschlussreich und voller Selbstironie: Barbara Geyer stopfte die gesammelten Haare in eine selbstgefertigte, mit zahlreichen, kleinen Löchern versehene, quaderförmige Kunststoffdose und legte diese zwischen die angefallene Kochwäsche in ihre Waschmaschine. Das präsentierte Filzobjekt entstand also in wiederholtem und hochtourig geschleudertem Wasch-, d.h. Reinigungsvorgang, der sämtliche, ursprünglich individualisierenden Merkmale zur Unkenntlichkeit verfilzt hat…

Martin Walch, 2011