Synchron

Aktuelle Werke
© Text Cornelia Wieczorek

Einführung

Barbara Geyer bedient sich von Beginn an einer eigenwilligen Material- und Formensprache. Ihr Augenmerk gilt alltäglichen Dingen, denen sie in ihrem eigenen Lebensraum wie auch in fremden Kulturen nachspürt. Dabei richtet sie ihr Interesse auf alle Lebensbereiche, auf Dinge des häuslichen ebenso wie des kulturellen oder natürlichen Umfelds. Durch ihren künstlerischen Zu- und Eingriff werden Fundstücke und Gegenstände ab- und umgewandelt, verfremdet, nachgebildet, neu geordnet und strukturiert. Ihrem ursprünglichen Kontext entzogen, werden sie Elemente teils einfacher, teils komplexer Kompositionen und erhalten so eine neue Realität.

Die Vielfalt der Ausdrucksformen, der spannungsvolle und ästhetische Umgang mit den Werkstoffen und deren immer wieder neue Kontextualisierung sind offenkundig. Gleichwohl erschöpft sich das Werk von Barbara Geyer keineswegs in der Lust am Stofflichen: Dass allem ein tieferer Ursprung und eine innere Verbindung zugrunde liegen, ist erfahrbar. Wahrnehmbar ist der bildhafte Ausdruck einer individuellen Gedanken- und Ideenwelt.

Reflexionen über Identität und Entfremdung, Freiheit und Zwänge, Traditionen und Riten, über bestehende Werte und neue Orientierungen spielen eine wichtige Rolle. Reisen gaben wesentliche Impulse und zunehmend erlangt die Aura des Ortes eine zentrale Bedeutung, daran geknüpft die Frage nach dem Standort des Menschen in der Gesamtheit der Schöpfung.

Zuletzt fliessen Erfahrungen eines Werkjahres in Barbara Geyers Schaffen ein, in dem sie sich mit Visionssuche und Übergangsritualen in unterschiedlichsten Kulturräumen beschäftigte. Es ist indessen nicht neu in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung, dass sie sich mit Entwicklung und Bewegung in Zeit und Raum befasst, dass ihre Aufmerksamkeit dem Prozesshaften, Transformatorischen und den ewigen Kreisläufen des Lebens gilt, in der Natur wie in der Zivilisation, im alltäglichen Handeln wie in rituellen oder spirituellen Vorgängen. Diese gedankliche Konstanz ist in ihrem gesamten Schaffen als roter Faden nachvollziehbar.

Haupttext

Im konzeptuellen Zentrum der Ausstellung steht ein Lichtkreis mit seinem ephemeren Echo an der Wand. Er kann Rahmen oder Ort sein für jeweils individuelle Vorstellungen, Gedanken, Träume und Emotionen. Symbolisch steht er für das kultische Lebensrad, in das die menschliche Lebensspanne mit ihren zyklischen Wandlungen eingeschrieben ist. Bei nahezu allen Naturvölkern begegnet man diesem archetypischen Bild: einem Kreis, unterteilt durch zwei Symmetrieachsen, deren Schnittstellen auf der Kreislinie die vier Himmelsrichtungen, vier Elemente, vier Jahreszeiten und vier Lebensalter zugeordnet sind. Zugrunde liegt das Wissen oder intuitive Erahnen, dass alles mit allem in Verbindung steht, dass der Mensch Teil einer Mitwelt – wie es die Künstlerin formuliert – und nicht einer Umwelt ist. Mit dieser Begrifflichkeit wird ganz entschieden die Frage nach der Perspektive auf das Leben als Ganzes gestellt.

Dem Lebensrad folgend sind die vier Grundelemente vertreten: Wasser im Wavebirther, Luft und Feuer in der Installation El Hierro sowie in Erde der ungeformte Urstoff, dem gleichwohl sein Gestaltungspotential schon innewohnt. Sechs Kupferplatten stehen sinnbildlich für die vier Stationen des Lebensrads, ergänzt durch die Pole Himmel und Erde. Gleichzeitig symbolisiert Kupfer als Metall der Venus Wärme und Sinnlichkeit, Genuss und Hingabe, Strahlkraft und Energie sowie das innere Licht und das Spirituelle. Im Sinne des Lebensrads kulminieren hier Osten und Süden, Frühling und Sommer, Geburt und Kindheit sowie Geist und Körper. Darauf antworten kontrastreich zwei schwarze hochformatige Bildtafeln: Übereinander gelagerte Graphitschichten implizieren fortlaufende Zeit. Auch sie vereinen zwei Prinzipien: Westen und Norden, Herbst und Winter, die Zeit des Heranwachsens und des Erwachsenseins, Psyche und Verstand.

Ein wesentlicher Grundton des Schöpferischen klingt hier an und transformiert sich in den Werken der Ausstellung, wenn sich das Lebendige zwischen zwei Polen wie Himmel und Erde, Tag und Nacht, Wärme und Kälte, Verflüssigung und Erstarrung, Männlich und Weiblich, Chaos und Ordnung entfaltet. Doch sind diese Pole nicht als Antagonisten, sondern als sich notwendig ergänzende Synergien zu verstehen. Das Video Augenlauf, das die Bewegungen eines Rott´schen Pendels seriell erfasst, mag dies verbildlichen: Was die Künstlerin hier fasziniert, ist der Gedanke, dass sich gerade an der Schnittstelle zwischen Ordnung und Chaos kreatives Potenzial entwickeln kann.
Wenngleich die Inhalte des Lebensrads in unterschiedlichen Kulturen variieren, konnte Barbara Geyer Entsprechungen beobachten – bei Maori ebenso wie etwa bei Tibetern, Kirgisen oder auch den in ihrer Mentalität durchaus verschiedenen Mitteleuropäern. Menschen, die Traditionen und Riten als natürlichen und sinnstiftenden Inhalt ihres Alltags begreifen, bewegen sich offenbar in ähnlichen archetypischen Mustern, in denen im Sinne einer Synchronizität innere Vorgänge eine äussere Entsprechung finden, ohne dass diese zwingend kausal zusammenhängen müssen.

Barbara Geyer versteht Synchronizität bezogen auf ihr Werk folgendermassen: „Verschiedene Ereignisse und Gegenstände treffen aufeinander und formen ein unvorhergesehenes Ganzes in Raum und Zeit. Sie bündeln sich zu wundervollen Mustern, in denen Sinn und Materie untrennbar miteinander verbunden sind. Alles Lebendige gleicht dann einem japanischen Butohtänzer, bei dem jede Gebärde die ganze Bewegung enthält – etwa so, wie jede einzelne Welle Ausdruck des gesamten bewegten Ozeans ist.“ Der entscheidende Gedanke dabei ist, dass sich neue Einsichten und kreative Ideen eröffnen, wenn alles als ein ineinandergreifendes lebendiges Gewebe verstanden wird. Vor diesem Hintergrund werden die Grenzen zwischen Kunst und Leben fliessend und der Blick öffnet sich für eine holistische Weltsicht mit neuen Wertigkeiten.

Barbara Geyer transformiert mit ihrem Schaffen Wirklichkeit, um auf einer feinstofflicheren Ebene das Bewusstsein des Betrachters zu erreichen. Ein Künstler, dem es ebenfalls um diese feinstoffliche Ebene und um Veränderung mit Blick auf gesellschaftliche Verwerfungen ging, war Joseph Beuys: in seinem Fokus stand die Umformung des menschlichen Daseins in Bewegungsströme, in unterschiedliche Aggregatzustände, um geistige Auseinandersetzung in Gang und verfestigte Haltungen wieder in einen Fluss zu bringen. Für Barbara Geyer wird er zum Verbündeten im Geiste, wenn sie sich nicht nur von seiner Material- und Formensprache angesprochen fühlt, sondern vor allem von seinem umfassenden Ansatz, der „die Erkenntniskräfte, die Fähigkeit des Denkens, der Intuition, der Inspiration, das Ichbewusstsein, die Willenskraft“ als wesentliche gestalterische Elemente für Kunst und Leben postuliert (Joseph Beuys, in: Rüdiger Sünner, Zeige Deine Wunde).

Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten spannen einen Bogen von früheren bis zu jüngsten Werken. Zu den früheren gehören die Vitrinen der Installation Zu Zweit. Einzelnen Objekten daraus begegnet man in modifizierter Form im Raum wieder, etwa dem Ei als Symbol der Fruchtbarkeit, des erwachenden Lebens, der ewigen Wiederkehr oder der Auferstehung im christologischen Sinne. Kontinuität bildet sich auch in Form der kleinen Drahtarbeiten und der ineinander gestaffelten Hausformen ab, welche die Implikationen des Räumlichen spiegeln, die sich für die Künstlerin gerade im Gegensatz veranschaulichter Begriffe wie etwa Leere und Fülle, Schutz und Einengung, Offenheit und Geschlossenheit erfüllen. In den unterschiedlichen Raumtypen – Tipi, japanisches Teehaus, Jurte sowie dem Langhaus der Maori – geht es aber vor allem um den Raum als Bedeutungsort, als „Gefäss“ der Begegnung, als „Bühne“ kultureller oder spiritueller Riten, als Ort der Kommunikation.

Wenn Barbara Geyer in der Installation Zu zweit Objekte jeweils doppelt anordnet, thematisiert sie ein Urprinzip lebendiger Entwicklung: Alles, was werden will, geht aus von Verdopplung, die DNA bildet eine Doppelhelix, vor jeder Teilung wiederum verdoppelt sich die DNA einer Zelle. Wenn Wissenschaftler davon sprechen, dass das Kernmotiv der Natur in Kooperation, Spiegelung und Resonanz besteht, dann funktioniert dies nur mit zumindest einem Resonanzpartner. Vom einfachen Zellkörper über Pflanzen und Tiere bis hin zum Mensch: dieses Prinzip bedeutet, dass alles Lebendige auf Kooperation und Kommunikation angewiesen ist, auf ein Echo im Gegenüber.

© Cornelia Kolb-Wieczorek

 

Biographien

Barbara Geyer (* 1968 Graz/A), lebt in Planken/FL. Sie absolvierte ihr Kunststudium an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Seit 1993 ist die Künstlerin freischaffend tätig und pflegt eine rege Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland. Neben Atelierstipendien des BMUKK/A, die sie 1997 nach New York City, 1999 nach Budapest und 2000 für ein halbes Jahr nach Tokyo führten, erhielt sie von der Kulturstiftung Liechtenstein im Jahr 2013/14 ein Werkjahrstipendium, das ihr Studienreisen u.a. nach Sibirien, Nepal und Neuseeland ermöglichte. Eine vierjährige Ausbildung zur Visionssucheleiterin prägt jüngst Barbara Geyers Schaffen. Als Preisträgerin der Sussmannstiftung, Wien /A und des Kunstforum Montafon, Schruns /A erlangte sie auch im angrenzenden Ausland Wertschätzung. Seit 2003 lebt und arbeitet Barbara Geyer in Liechtenstein, ist dort teilzeitig mit Kunstvermittlung und Lehrtätigkeit am Kunstmuseum Liechtenstein, der Universität Liechtenstein, dem Liechtensteinischen Gymnasium sowie an der Berufsmaturitätsschule in Vaduz tätig. Ihre künstlerischen Ausdrucksmittel sind Installation, Objekt, Graphik, Fotografie und Video.

Cornelia Kolb-Wieczorek hat Kunstgeschichte und Publizistik studiert und ist als Autorin, Kuratorin, Lektorin im Bereich Bildende Kunst, Kulturgeschichte und Archäologie tätig. Von 1998–2008 leitete sie den Kunstkreises St. Arbogast (Götzis/A), war von 2007–2013 Verlagsleiterin im Bucher Verlag Hohenems/A mit Schwerpunkt Kunst und Kulturhistorischen Themen, von 2008–2015 Stiftungsrätin der Kulturstiftung Liechtenstein und von 2013–2016 Geschäftsführerin der Galerie am Lindenplatz. Ihr Hauptinteresse gilt der zeitgenössischen Kunst; in diesem Kontext sind zahlreiche Ausstellungen und Publikationen entstanden